Kunstkritik

Was entsteht aus dem Dialog Künstler – Objekt?

Zur Erscheinungsweise von Harald Hertels polymaterialer Ästhetik.

Harald Hertel spricht mit seiner Kunst eine besondere Sprache – eine Sprache, die im Grunde in sich eine komplexe Symbiose von Innen und Außen vereint, und, wie der vorliegende Katalog zeigen wird, drückt sich Harald Hertels künstlerische Sprache vielfältig aus.
Da sind beispielsweise die Bronzeobjekte, Objekte der haptischen Begierde, glatt, kieselig, schmeichelnd sowohl dem Auge wie der tastenden Hand, naturnahe, wie abgeformt von objets trouvés. Analogien zu vom Wasser abgeschliffenen Steinen drängen sich dem Betrachter auf, Steine, die im Laufe der Jahre ihre Form erhalten haben. Umso mehr sind diese hellen Kleinbronzen der künstlerischen Formensprache ihres Schöpfers unterzogen worden, als er ihre abschließende Bearbeitung – schleifen, patinieren, polieren – nicht wie sonst allgemein üblich dem Gießer überlässt, wodurch der Status des Unikats betont wird. Ihren angemessenen Platz haben diese Bronzen nicht isoliert, wie zum Beispiel als Vitrinenstück, sondern sie suchen die Nähe zur Natur, bieten sich an als verbindendes Element zwischen ihr und dem Betrachter.

Auch bei Hertels Glas-Metall-Kombinationen kommt die Naturkomponente zum Tragen. Manche von ihnen sind überlebensgroß, manche nicht höher als etwas über einen halben Meter, aber ihnen zu eigen ist immer das Aufstrebende, das zum Licht Drängende. Einige der Skulpturen sind Schlingpflanzen gleich, sich umeinander rankend, windend, manche – wie zum Beispiel „Aufstrebend II/ Kopflast“–  steil und streng, vergleichbar einer Stele, mit rauhem, sich wehrhaft präsentierendem Corpus. Demgegenüber erscheint die aus diesem hervorquellende Blütenform trotz aller Dichte ihrer Materialität zart und duftig – im Fall von „Aufstrebend II“ vergleichbar der Blüte einer Hyazinthe.
Bei aller Sprödigkeit des Details formt Harald Hertel das Bleikristallglas seiner Objekte immer in Kontrast zum Metall: mal wie in lockeren Blütendolden, mal wie eine schwere Masse, die sich scheinbar aus der metallenen Umklammerung befreien will. Das Glas sucht sich offenbar einen Weg durch alle Maschen der Metallhülle, um seinerseits wiederum diesen Maschen Halt zu geben; es drängt aus der Fessel des Metalls, um trotzdem für immer ein Bestandteil dessen zu bleiben. Es findet hier ein Geben und Nehmen der Formen und der Materialien statt, gleichermaßen ein Widerstreit aber auch eine Symbiose.
Aufbrechen – ausbrechen ist der Grundtenor der Metall-Glas-Arbeiten, was besonders deutlich wird bei einem unbetitelten Objekt, durch dessen Grundfläche von 16 Metallplatten eine – noch – in Umklammerung befindliche „Blüten-/ Pflanzenspitze“ sich offenbar machtvoll ihren Weg nach oben, ins Freie bahnen will.
Mit seinen Werken will Harald Hertel, wie es scheint, Teile des Kosmos einfangen. Eine besondere Ausdrucksform dessen findet sich bei seinen Stein-Metall-Plastiken  

Wiederholt, nicht aber stereotyp, setzt Harald Hertel bei diesen Arbeiten die Kugel ein, eine Kugel aus weißem Carrara-Marmor, bearbeitet mit dem so genannten Stockeisen, und dadurch versehen mit einer Oberfläche, die wie punktiert und dadurch entsprechend lebendig wirkt.
Sie schwebt bei „Prison Balls“ in einer besonderen Sphäre, diese Kugel – innerhalb einer metallenen Hülle, entfernt erinnernd an die Struktur eines Atoms, dessen Gitternetz den Marmor umfängt, die Kugel zwar dominiert, ihr jedoch niemals zu nahe kommen kann. Steinerne Kugel und metallenes Gitter, hier miteinander kombiniert, sind sowohl in ihrer Form als auch ihrer Materialität autark, bilden aber trotzdem eine Einheit. Ihnen scheint eine ganz spezielle Harmonie miteinander, aber gleichzeitig ein Respekt voreinander innezuwohnen.
In einer anderen Arbeit bildet die marmorne Kugel den ruhenden Pol in einem weit ausgreifenden metallenen Geschlinge. In der Arbeit „Am Anfang war das Ende“ (200 x 170 cm) löst der Künstler die ursprüngliche Form der Kugel, des Kreises auf in ein unregelmäßig gekrümmtes Spiralband. Die raumgreifende Form will beispielhaft Werden und Vergehen symbolisieren, den ewigen Kreislauf des Lebens, einen philosophischen Gedanken, der auf der buddhistisch-hinduistischen Lehre von der Wiedergeburt fußt. Die Kugel als Symbol für Harmonie und Unendlichkeit in ihrer in sich geschlossenen idealen Form repräsentiert gleichermaßen das Universum, die Unendlichkeit, Gut und Böse, wie auch Sanftheit und Wucht, Dramatik und stilles Ruhen.

Harald Hertel wählt also gern zwei Werkstoffe für seine skulpturalen Arbeiten, nämlich Metall/Glas oder Metall/Stein. Besonders die Komponente Glas fügt sich in ihrer bearbeiteten Form nicht unbedingt wie selbstverständlich in eine Umgebung wie die freie Natur ein. Anläßlich der 4. Internationalen Ausstellung GLASPLASTIK UND GARTEN in Munster (Lüneburger Heide) wurden etliche von ihnen unter freiem Himmel ausgestellt.
Es ist die „Dualität des Lebens“ (Hertel), die der Künstler sieht, und die er einfangen will. Er nimmt Formen auf, die der Sprache der Natur entlehnt sind. Alle Gegensätze, welche die Natur aufweist, finden einen Widerhall in den nur scheinbar dissonant miteinander kombinierten Materialien – eine Kombination, die in ihrer knappen Chiffrierung beim Betrachter einen komplexen Prozeß der Wahrnehmung provoziert. Ein Ineinandergreifen von Formfindung und Formwahrnehmung stellt den Betrachter vor eine Aufgabe, die ihn in all die Prozesse der Entstehung und Wirkung im und mit dem Ganzen einbezieht, der er sich, wenn er denn dafür wirklich aufnahmebereit ist, nur schwer entziehen kann. Da liegen dicht nebeneinander Kontemplation und Entdecken, Erkennen und Nachfragen, eben: Fragen an die Werke.
Harald Hertel sucht Ausdrucksmöglichkeiten für Gegensätze und schafft doch damit gleichzeitig Harmonien, indem er sich in seinen Arbeiten im Grunde durchgehend der Darstellung organischer Anklänge widmet.
Eine Werkgruppe setzt sich davon etwas ab: „Verpackung“. In diesen überdimensionierten, nach zufällig aufgefundenen Verpackungsmaterialien in Metall gearbeiteten Objekten will der Künstler eine Reflexion des Lebens geben. Die Oberfläche der monumental wirkenden Objekte ist mit einem fensterartigen Ausschnitt durchbrochen, der zugleich Aussichten wie Einsichten gewähren kann. Zudem ist die Oberfläche durch den Auftrag von Metallfarbe und Rost radikal wie in hard-edge-Manier diagonal geteilt. Durch die Wahl der Oberflächenbehandlung und –wirkung wird der Aspekt des Vergänglichen – oder des Nichtvergänglichen! –  betont: Wer oder was überlebt auf unserem Planeten, der uns ja eigentlich nicht gehört...?
Wir sind wiederum mit dem dualistischen Prinzip des Lebens aus der Sicht Harald Hertels konfrontiert, Eingebundensein in Leben und Konsum, in Verlockung und Gleichgültigkeit.
Es schließt sich ein Kreis in Harald Hertels Œuvre, das bei vordergründig differenter Darstellung den Blick auf das Detail öffnen will.

Dr. Karin Pudritzki, Darmstadt, Email: Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann.

© Dr. Karin Pudritzki
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